von Avery Sommer und Anette Kraft
Ein spannendes Wochenende liegt hinter uns. Ein Wochenende voller Spaß, Frust, voller Diskussionen und Abstimmungen. Aber auch voller wegweisender Entscheidungen für die zukünftige Politik der Grünen im ganzen Land. Ich, Avery Sommer, durfte zusammen mit Anette Kraft den KV Wittmund für dieses Wochenende beim 48. Bundesparteitag der Grünen im World Conference Center in Bonn vertreten.
Auch wenn wir am Freitag leider später ankamen, mein Zug hatte eine Verspätung, waren wir bei den wichtigsten Diskussionen anwesend. Die größte mediale Präsenz hatte wahrscheinlich unsere Abstimmung zum weiteren Umgang mit den drei noch laufenden Atomkraftwerken in Deutschland. Zur Debatte stand alle drei am Ende dieses Jahres (2022) abzuschalten, um, so die Befürworterinnen, zu verhindern, dass wir uns über den 15. April 2023 hinaus in einen dauerhaften Weiterbetrieb hineinreden lassen. Zwei der drei AKWs sollten dann bis zum 15.4. im Reservebetrieb laufen. Keinesfalls sollten neue Brennstäbe gekauft werden. Letztlich hat die BDK sich nach hitziger Debatte für den Streckbetrieb entschieden.
Am Samstag standen Debatten zur Außen- und Sicherheitspolitik der Grünen an. Hier hat auch Annalena Baerbock vor der Versammlung gesprochen, wie auch Claudia Roth. Als Gastbeitrag sprach die russische Friedensnobelpreisträgerin von der Gruppe Memorial, die sich gegen die Unterdrückung des russischen und ukrainischen Volkes aussprach. Die Debatten haben zwei Lager der Grünen Basis gezeigt: Auf der einen Seite stand das Lager, das der Ukraine seine vollumfängliche Unterstützung zusicherte: Die Ukraine solle alle Waffen bekommen, die sie benötigte, auch schwere Waffen und Panzer, und Deutschland soll sich weiter für die vollständige Unabhängigkeit der Ukraine einsetzen. Dagegen sprach das, zugegeben deutlich kleinere, Lager mit einer stark pazifistischen Haltung. Diese Seite wollte in erster Linie mehr Frieden in Europa schaffen und schreckte dafür auch nicht vor Kompromissen mit Russland zurück, nach denen die Ukraine zwar EU-, aber nicht NATO-Mitglied werden sollte. Auch schwere Waffen lehnte sie ab und wollte die Bundeswehr zu einer deutlich stärkeren Verteidigungsarmee machen, ohne bzw. mit deutlich weniger offensiven Waffen, nach dem Leitbild des “wehrhaften Pazifismus”.
Doch auch zum Iran und über die Waffenlieferungen an Saudi-Arabien wurde diskutiert. Letztere sollen zukünftig nicht mehr durchgeführt werden, da bei Rüstungsexporten “verstärkt auf Menschenrechte geachtet” werden soll. Die bisherigen bereits laufenden Verträge zu kündigen fand im Plenum aber keine Mehrheit. Beim Thema Iran gab es sehr bewegende Reden, besonders Omid Nouripour hat betont, keine Frau im “Iran, in der Ukraine oder in Saudi-Arabien darf daran zweifeln, dass wir an ihrer Seite stehen, dass wir sie nicht alleine lassen. Frauenrechte sind Menschenrechte und sie sind nicht verhandelbar“.
Doch nicht nur dazu gab es am Samstag Abstimmungen. Darüber hinaus haben wir entschieden, die Paragraphen 218 und 218a (Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch) aus dem StGB zu streichen und so die Selbstbestimmung der Frauen weiter zu stärken, was mit einer überwältigenden Mehrheit angenommen wurde. Auch ein Antrag zur deutlichen Erweiterung des Zugangs zu psychotherapeutischer Hilfe wurde beschlossen. Darüber hinaus haben wir uns mehrheitlich für die Einführung der Widerspruchslösung in der Organspende entschieden.
Der Sonntag danach war ein wenig hektischer. Aufgrund langer Reden und zeitaufwendiger Wahlen für die Antrags- und die neu gegründete Rechnungsprüfungskommission, sowie einer Nachwahl für den Parteirat, war es bereits 14 Uhr. Obwohl die BDK um diese Zeit eigentlich bereits enden sollte, mussten jetzt noch die Anträge zum Klimaschutz debattiert werden. Dieser Zeitverzug wurde heftig kritisiert, da hierdurch die fest gebuchte Rückreise vieler Delegierter verschoben werden musste.
Kontrovers und intensiv diskutiert wurde insbesondere der Antrag des Bundesvorstands der Grünen Jugend (GJ) zum Erhalt von Lützerath und dem Einsatz eines Moratoriums, bis die auffällig schnell entstandenen Gutachten noch einmal überprüft wurden. Hierfür hatte sich an diesem Tage bereits Luisa Neubauer im Namen von Fridays for Future in einer Gastrede ausgesprochen, ebenso Timon Dzenius, Bundessprecher der GJ. Timon und Luisa betonten die Relevanz des 1,5° Ziels, welches ohne Lützerath nicht mehr zu schaffen sei.
Das Gewicht des Antrags wird spätestens dann deutlich, wenn man sich die Gegenredner*innen ansieht, die der Bundesvorstand ins Rennen schickte: Auf der einen Seite Oliver Krischer, Umweltminister in NRW, welcher in seiner Rede, was nach drei anstrengenden Tagen BDK auch mal vorkommen darf, ausrief “der Kohlekonzern FDP – äh – RWE”. Vielleicht ein freudscher Versprecher, auf jeden Fall hat es den Saal noch einmal ordentlich aufheitern können.
Zum Schluss redete Bundessprecherin Ricarda Lang gegen den Antrag und betonte, dass es bei Annahme nicht zum Kohleausstieg in 2030 kommen würde und darauf geschaut werden müsse, wie viele andere Dörfer so gerettet werden.
Für den Antrag wurde u.a. von FFF vor den Toren des World Conference Centers demonstriert.
Die Abstimmung war extrem knapp. Zweimal mussten sich die Delegierten melden, während das Präsidium zählte. Es war sich nicht einig, wer eine Mehrheit im Saal hatte. Somit wurde der Antrag per Urne abgestimmt mit dem Ergebnis: 294 zu 315 gegen den Antrag, was für große Empörung vor dem Center sorgte.
Zum Abschluss möchte ich sagen: Es war eine sehr stimmungsreiche, emotionale BDK. Es wurde Grüne Geschichte geschrieben und sehr wichtige Weichen für uns als feministische, grüne Friedenspartei gestellt, auch wenn natürlich nicht alle mit allen Ergebnissen zufrieden sind. Eine kleine Kritik gibt es nur: Bei englischen Beiträgen sollten deutsche Untertitel mitlaufen, es können nicht alle fließend Englisch. Oder englische Reden werden von einem Dolmetscher begleitet, wie auch der ganze Parteitag – übrigens seit vielen Jahren bei uns Grünen – vorbildlich mit Gebärdensprache begleitet worden ist.
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