Schweinestall

Schweinestall

Grüne: Faktencheck zur „Schweinefleischkrise“

Zu unserer Pressemitteilung „Jammern nützt auch beim Schweinefleisch nichts“ gab es neben einer Stellungnahme des Wittmunder Kreislandvolks zwei Leserbriefe – einen sehr sachlichen am 5. Januar und einen eher polemischen am 7. Januar. In letzterem wird dem Sprecher des Grünen Kreisvorstands mehrfach Lüge oder unverschämte Lüge vorgeworfen, verbunden mit der Aufforderung die Sachverhalte aus der Grünen Pressemitteilung mit „validen Daten und Statistiken“ zu belegen. Das machen wir hiermit gern!

Frage: Müssen Landwirte eigentlich marktwirtschaftlich denken und ihre Höfe wachsen lassen?

(Diese Behauptung wird z.B. im Leserbrief von Hillert Gerdes, 5.1.23, aufgestellt)

Antwort: Meiner Meinung nach sollten landwirtschaftliche Betriebe schon sehr unternehmerisch handelnd geführt werden. Allerdings sehen wir Grünen zurkunftsorientiertes unternehmerisches Handeln nicht in erster LInie durch Profitinteresse geprägt, sondern vielmehr braucht Landwirtschaften Akteure, die vorausschauend, weitsichtig und risikovorbeugend handeln. Im Grünen Grundsatzprogramm vertreten wir eine sozial-ökologisch ausgerichtete Marktwirtschaft als Weiterentwicklung der „Sozialen Marktwirtschaft“. Also: die freie Marktwirtschaft, wie sie einige landwirtschaftliche Funktionäre und offensichtlich der Leserbriefschreiber propagieren funktioniert nicht (mehr). Insbesondere nicht in der Landwirtschaft, weswegen Bauern heute Fördermittel für jegliche auf Arten- oder Tierschutz gerichtete Aktivitäten einfordern – und ohne diese auch in den meisten Fällen gar nicht mehr auskommen können.

F: Wenn Eberhard Hoffmann staatliche Lenkung fordert, ist das dann nicht eine Wirtschaftsweise wie in der DDR?

(Diese Behauptung stellt der Leserbriefschreiber Hillert Gerdes, 7.1.23, auf.)

A: Nein, das hat mit einer Planwirtschaft oder Fünfjahresplänen überhaupt nichts zu tun. Solche staatliche Lenkung, die wir fordern um den bäuerlichen Betrieben ihre Existenz zu sichern, meint Subventionen oder Fördermittel an Landwirte für Arten- und Tierschutz statt für immer größere Flächen, CO2-Preis, Mehrwertsteuerentfall für pflanzliche Lebensmittel. 1 Milliarde EUR plant die Bundesregierung als ersten Startschuss für Stallumbauten und laufende Kosten der Tierhaltung (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), 21.12.2022, https://www.bmel.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2022/186-bundesprogramm-umbau-tierhaltung.html).

Die Behauptung des Leserbriefschreibers irritiert allemal: schon heute sind Landwirte auf Fördermittel angewiesen (durch verfehlte Landwirtschaftspolitik in der Vergangenheit). Und sie fordern sie sogar nachdrücklich, z.B. der Vizepräsident des Landvolkverbandes Niedersachsen im Anzeiger für Harlingerland vom 7.1.23: „Ohne Förderung kann die Landwirtschaft den Umbau der Tierhaltung nicht stemmen.“ Da stimmen wir Grünen zu.

F: Stimmt es, dass der Anteil der LaWi an Treibhausgasen in Deutschland „nur“ 8% ausmacht?

(Behauptung aus dem Leserbrief von Gerrit Baumann vom 5.1.23)

A: Ja, es sind ca. 8%. Das ist etwa soviel wie der Ausstoß aller Gebäude oder des Verkehrs. Der Löwenanteil der Treibhausgase wird verursacht von Energiewirtschaft und Industrie. Deshalb sind die 8% aus der LaWi natürlich viel zu viel. Insbesondere, da die Landwirtschaft ähnlich wie der Verkehr und anders als z.B. die Energiewirtschaft und die Industrie ihren Treibhausgas-Ausstoß nicht nennenswert senkt. Das hat sie in den vergangenen 30 Jahren eigentlich nur zweimal geschafft: Erstens zwischen 1990 und 1992 durch die Reduzierung riesiger Rinderbetriebe nach der Wiedervereinigung. Und ein zweites Mal bedingt durch die klimabedingte extreme ⁠Dürre⁠ im Jahr 2018: hier neben hohen Ernteertragseinbußen und geringerem Mineraldüngereinsatz auch durch die erschwerte Futterversorgung der Tiere, die zu einer Reduzierung der Tierbestände (insbesondere bei der Rinderhaltung) beigetragen haben dürfte. (Quelle: Umweltbundesamt vom 23.3.2022, https://www.umweltbundesamt.de/daten/land-forstwirtschaft/beitrag-der-landwirtschaft-zu-den-treibhausgas#treibhausgas-emissionen-aus-der-landwirtschaft)

F: Ist es nicht gut, wenn Deutschland Fleisch exportiert, weil wir hier die höchsten Tierwohlstandards haben und am klimaschonendsten produzieren?

(Behauptung aus dem Leserbrief von Gerrit Baumann vom 5.1.23)

A: Der Export von Fleisch, Milch etc. in andere Länder trägt zum einen in manchen Fällen dazu bei, dass die Landwirtschaft in den importierenden Ländern leidet und ggf. nicht mehr konkurrenzfähig selbst produzieren kann. In anderen Fällen erhöht es die Abhängigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe in Old Germany, wenn die Höfe nicht auf mehreren Beinen stehen. Gerade Export von Schweinefleisch hat in der Vergangenheit zu erheblichen Problemen für die Bauern geführt (Stichwort: Afrikanische Schweinepest).

F: Besteht tatsächlich ein Importbedarf, weil in Deutschland überwiegend Edelteile verzehrt werden?

(Behauptung aus dem Leserbrief von Gerrit Baumann vom 5.1.23)

A: Fakt ist, dass aus Deutschland weit mehr Schweinefleisch exportiert wird, als dass nach D importiert würde. Z.B. wurden in 2019 2,3 Mio. Tonnen(!) Schweinefleisch aus Deutschland in die Welt (zunehmend nach China, in der EU v.a. nach Italien) exportiert. Hingegen wurden lediglich 1,1 Mio. Tonnen importiert. (Quelle: Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) auf der Website der Interessengemeinschaft der Schweinehalter in Deutschland, 20.8.2020: https://www.schweine.net/news/schweinefleisch-import-export-deutschland.html)

F: Stimmt es, dass 70% der landwirtschaftlichen Nutzfläche gar nicht ackerfähig sind?

(Behauptung aus dem Leserbrief von Gerrit Baumann vom 5.1.23)

A: Das stimmt so nicht. Die Bauernverbände behaupten dies gern, da große Flächen heute für Futtergetreide genutzt werden, und dieses nicht geeignet sei für z.B. Brotherstellung. Es gibt aber längst Untersuchungen die zeigen, dass diese Flächen sehr wohl für Weizen genutzt werden können, obwohl bis heute lediglich 30% der Weizenernte zum Backen verwendet werden, der Rest für „Agrosprit“ und Tierfutter. Tatsächlich könnten aber bei auf die Mehllieferung angepasster Knetung und Wasserzugabe z.B. aus der Weizensorte Elixer wohlschmeckende Brote hergestellt werden. Bei reduziertem Fleischkonsum und Viehzahlen könnte also sehr wohl der größere Teil des heutigen Agrosprit- und Futterweizens verbacken werden. (Quelle: taz vom 14.10.22 nach Aussagen von Friedrich Longin, Getreideforscher und Leiter der Arbeitsgruppe Weizen an der Landes-Saatzucht-Anstalt der Universität Hohenheim.)

F: Im Leserbrief vom 7.1.23 wird behauptet, dass (nur) 2,5% der Mastschweine verenden. In der Pressemitteilung der Grünen wird behauptet, dass fast jedes zweite Mastschwein krank zum Schlachthof kommt. Was ist richtig?

A: Am Lehrstuhl für Lebensmittelsicherheit der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) hat man 948 Mastschweine an drei süddeutschen Schlachthöfen unter die Lupe genommen und festgestellt, dass 91,8 Prozent so genannte Hilfsschleimbeutel aufwiesen. Diese Entzündungen bilden sich als Reaktion auf dauerhafte Fehlbelastungen wie zum Beispiel Druck. 44,1 Prozent der Tiere wiesen mittel- bis hochgradige Veränderung dieser Art auf, so Lehrstuhlinhaber Manfred Gareis. Hinzu kommen noch Verletzungen an den Klauen. (Quelle: Bund Naturschutz Bayern nach einer Studie der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität, https://www.abendzeitung-muenchen.de/bayern/arme-schweine-krank-zum-schlachthof-art-280505.)
Tatsächlich wären demnach nicht nur fast jedes zweite Mastschwein krank beim Schlachtbetrieb angeliefert worden, sonder fast jedes! Meine Behauptung, dass fast jedes zweite Schwein krank im Schlachthof ankommt ist also sicher keine „unverschämte Lüge“. Und die Behauptung des Leserbriefschreibers Hillert Gerdes, dass „nur“ 2,5% der Mastschweine verenden (eine Quelle nennt er leider nicht), halte ich für zumindest fragwürdig. Andere Untersuchungen gehen von bis zu 20% der Mastschweine aus, die vorzeitig (also vor Transport in einen Schlachtbetrieb) aufgrund von Krankheit oder Verletzung getötet werden. Das wären viele Millionen Schweine in jedem Jahr. Tatsächlich ist es noch grausamer: viele Tötungen werden nicht richtig durchgeführt und die Schweine leben noch und erleiden grausame Qualen, wenn sie in der Tierbeseitigungsanstalt ankommen. (Quelle: Spiegel Wirtschaft vom 22.9.2019, https://www.spiegel.de/wirtschaft/nottoetungen-in-der-schweinemast-qual-fuer-den-profit-a-1290250.html.)

2 Kommentare

Kommentar verfassen

Artikel kommentieren


* Pflichtfeld

Mit der Nutzung dieses Formulars erklären Sie sich mit der Speicherung und Verarbeitung Ihrer Daten durch diese Website einverstanden. Weiteres entnehmen Sie bitte der Datenschutzerklärung.

Verwandte Artikel